Trocknet das Schweizer Game-Design aus?

Blindflug Studios
9 min readJul 1, 2021

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Das vergangene Jahr hat viel Leid gebracht und die Wirtschaft weltweit durchgeschüttelt. Zu den wenigen erfreulichen Nachrichten gehörte aus Game-Entwickler-Sicht die erhöhte Akzeptanz von Computerspielen, die durch ihre Möglichkeiten der Vernetzung und des gemeinsamen Spielens eine Art Rettungsanker in Zeiten des Social Distancing boten. Doch wo stehen wir Schweizer Game-Designerinnen und -Entwickler? Ich habe mir dazu am Beispiel unseres Studios ein paar Gedanken gemacht.

… und dann landete das Flugzeug ziemlich abrupt in der Wüste. Nach der Game Developers Conference GDC 2019 in San Francisco, wo Blindflug Studios den bevorstehenden Bankrott abzuwenden versucht hatte, kam es zu einer Notlandung. Eigentlich wäre ein Meeting in Los Angeles vorgesehen gewesen, um unser Studio zu retten. Für mich und meinen langjährigen Weggefährten und Mitgründer des Studios, Jeremy Spillmann, hatte das Happening einen symbolischen Charakter: Blindflug in der Wüste abgestürzt. Game over. Doch dann ist es doch nicht so weit gekommen.

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Vor knapp sieben Jahren wurden Blindflug Studios als Spin-off der Zürcher Kommunikationsagentur Feinheit gegründet. Das heisst Jeremy, ein ehemaliger Feinheit-Mitarbeiter, und ich wagten den Alleingang. Finanziell wurden wir zwar anfangs unterstützt von weiteren Bruchpiloten (die Bruchpiloten AG ist die Holding-Gesellschaft hinter Feinheit und Blindflug). Doch einzig Jeremy bezog einen bescheidenen Lohn. Mein Engagement war während der ersten drei Jahren nicht entlöhnt. Ein Hobby gewissermassen.

Uns verband und verbindet bis heute eine Abenteuerbereitschaft. Wir wollten schauen, ob wir es schaffen, ein Game-Studio von internationalem Format in der Schweiz zum Fliegen zu bringen. Damals gab es nur ein paar wenige andere — ich sage mal — Pioniere. Dieser Umstand färbte sich auch auf die Namensgebung ab. Für uns war das Unterfangen ein Blindflug. Es gab niemanden, der uns bei der Hand nahm und uns zeigte, wie und wo es lang geht.

Jeremy und mein Ziel war es, mit Games etwas Positives zu erreichen, nicht nur schieres Entertainment. Wie kann man eine wichtige Message auf unterhaltsame Weise in ein Videospiel packen, ein komplexes Thema zugänglich machen? Wir erarbeiteten das Konzept von «First Strike», einem Strategiespiel um nukleare Aufrüstung. Während ich mich um Marketing und Produktion kümmerte, setzte sich Jeremy verschiedene Hüte auf: Game-Designer, Grafiker und Programmierer. Letzteres hat zwar funktioniert, denn Jeremy brachte «First Strike» (2014) zum Laufen, doch sein Spaghetti-Code hält heutigen Anforderungen nicht mehr stand. Und keine Angst: Jeremy hat inzwischen ein Verbot erhalten, Dinge zu programmieren. So kann er sich auf seine eigentliche Stärke, das Game-Design konzentrieren, was weit mehr Sinn macht. Unterstützt wurden wir damals von Feinheit-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern, die uns bei manchen Dingen unter die Arme griffen. Wir steckten all unsere Energie und Ressourcen in «First Strike» und — landeten einen Überraschungs-Hit.

Den stattlichen Gewinn reinvestierten Jeremy und ich in die Blindflug Studios statt uns ein Haus oder so zu kaufen (🏌️‍♀️🚗 🏡 ⛵️ ), obschon wir uns das überlegt haben. Es kamen neue Mitarbeitende hinzu und mit ihnen wuchs auch die Ambition, deren Resultat schliesslich den Namen «Cloud Chasers» (2015) trug und nicht — wie wohl viele erwartet hätten — «First Strike 2».

Ganz bewusst entschieden wir uns für neue Inhalte, denn uns beschäftigten Themen wie Migration und Wasserknappheit. Wir gingen ein Risiko ein und setzten künstlerische Freiheit über kommerzielle Sicherheit. «Cloud Chasers» erzählt die Geschichte eines Vaters, der sich zusammen mit seiner Tochter auf die Suche nach einer paradiesischen Wolkenstadt macht. Auf einer kritischen Ebene verfing das Game und wurde mehrfach an Festivals ausgezeichnet, doch kommerziell floppte es spektakulär. Ähnlich erging es «Airheart» (2018) , einem farbenfrohen Flugzeugabenteuer, in das wir das Thema der globalen Überfischung eingearbeitet haben.

Blindflug standen 2,5 mal vor dem Aus. Um neue Projekte zu realisieren und zu überleben, haben wir Geld von grosszügigen Investoren aufgenommen, aber auch unser eigenes Geld ins Studio gesteckt. Kommerzieller Erfolg ist für uns schon aus diesem Grund entscheidend. Doch vor allem wollen wir Games produzieren, die uns und vielen anderen Menschen Spass machen. Ich verstehe die Leute nicht, die finden, dass sich Kunst und Kommerz widersprechen. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass der künstlerische Wert eines Werkes nicht über den kommerziellen Erfolg gemessen werden kann. Das Gleiche gilt für Games. Und wenn wir schon hier sind: Der Umkehrschluss — wenn etwas kommerziell nicht erfolgreich ist, ist es Kunst oder die Leute haben das Werk einfach nicht verstanden — ist nicht nur verfehlt, sondern schlicht arrogant.

Teil unserer Strategie ist es, dass wir auch Auftragsarbeiten ausführen. So realisierten wir im Auftrag des Dachverbands der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer «Finance Mission Heroes» (2016), ein Serious Game über Finanzkompetenz oder «Democratia — The Isle of Five» (2020) für den Think Tank Avenir Suisse, bei dem die Mechanismen unserer Demokratie gamifiziert wurden. Wir schauen, dass wir uns mit den Themen identifizieren können. Nur so können wir den Anspruch erfüllen, den wir an unsere Produktionsqualität stellen. Am Ende des Tages sind wir Überzeugungstäter. Wir prostituieren uns nicht, lieber stürzen wir ab.

Leicht ernüchtert habe ich nun Bilanz gezogen und mir Gedanken gemacht, wie wir es die letzten Jahre über die Runden geschafft haben. Es ist das Team, zusammengesetzt aus Menschen mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten, Hintergründen und Vorlieben. Ein Game zu entwickeln, ist kein Gitarrensolo, sondern eine hochkomplexe und orchestrierte Angelegenheit, bei der Grafiker, Autoren, Programmierer, aber auch Produzenten und Marketeers, um nur einige zu nennen, mit ihrer unterschiedlichen Expertise einen Beitrag leisten. Und wie bereits erwähnt, überlebt haben wir auch dank den grosszügigen und risikobereiten privaten Investoren.

Videospiele sind ein Hybridmedium. Es vereint Elemente des künstlerischen Handwerks wie Zeichnen, Malerei, teils sogar Modellieren mit der Entwicklung einer packenden Geschichte und der Musik in sich. Diese klassischen Komponenten werden in den digitalen Raum gehoben, wo sie eine neue, interaktive Dimension erhalten, die Games einzigartig macht.

Es ist auch diese Faszination für Computerspiele, die alle Mitarbeitenden von Blindflug Studios verbindet. Während der Produktion von «Airheart» haben wir gemerkt, dass wir technisch an eine Grenze stossen. Ich machte mich auf die Suche nach Talenten im Ausland, denn die lokalen Abgänger*innen der Fachhochschulen und Universitäten werden von grossen Firmen wie Google, Banken und Versicherungen eingestellt, die sehr hohe Löhne zahlen können. Da hat ein Game-Studio keine Chance. Ich schaute mich zu Beginn in Rumänien, Spanien und Polen um. Die polnisch-schweizerische Kulturdifferenz erschien mir nicht zu gross und die zwischenmenschliche Komponente gab dann den Ausschlag. Und: Polnische Game-Entwickler verfügen über grosses technisches Know-how, Kreativität und vor allem Biss, der vielen in der Schweiz abgeht.

So gerüstet bereiteten wir uns gewissermassen auf unseren «last stand» vor und konzipierten «First Strike 2» als Multiplayer-Game. War das erste «First Strike» auf Einzelspieler ausgerichtet, folgten wir dieses Mal dem Wunsch unserer Gemeinschaft, die immer wieder nach der Möglichkeit eines gemeinsamen Spiels im Mehrspieler-Modus fragte. Dank der Unterstützung der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia konnten wir — wie Jahre zuvor — an die Game Developers Conference in San Francisco fliegen. Der Wert dieser Unterstützung, die eine internationale Vernetzung und Erschliessung der dazugehörenden Märkte erst richtig ermöglicht, ist immens. Jeremy und ich präsentierten «First Strike Multiplayer», aber obschon das Interesse bei den Verlagen vorhanden war, wollte niemand den Titel ins Portfolio aufnehmen. Erschöpft setzten wir uns ins Flugzeug, das uns an ein Meeting in Los Angeles bringen sollte, wo wir einen letzten Rettungsversuch unternehmen wollten. Doch schon nach einer guten Stunde landeten wir, nahe bei Las Vegas. Blindflug (ver)endet in der Wüste. Die Symbolik war erschlagend.

Zurück in Zürich gähnte uns ein Loch in der Kasse an, aber dann geschah etwas völlig Unerwartetes: Apple klopfte an. Sie wollen «First Strike Multiplayer» exklusiv als Launch-Titel für ihre kuratierte Game-Plattform Arcade. Unter dem Namen «Stellar Commanders» wird unser Game ein Bestseller. Auf Steam läuft der Verkauf harzig, dafür ist «Airheart» aus dem Dornröschenschlaf erwacht und beginnt sich zu rechnen. Dank dem Erfolg von «Stellar Commanders» können wir auch neues Kapital aufnehmen und unsere neuen Projekte nach Gusto weiterentwickeln.

Die Game-Industrie ist — ähnlich wie das Kino-Geschäft — ein «hit driven business». Nur die wenigsten Titel rentieren unter dem Strich. Wenn ein Game floppt, kann dies das Aus für das Studio bedeuten. Pro Woche werden allein in Apples App-Store rund 4000 Games eingereicht, die veröffentlicht werden wollen! Ähnlich sieht es bei Googles Play-Store aus, in welchem die Game-Sparte im Jahr 2020 in Bezug auf die Downloads gegenüber 2019 um über 50 Prozent zugelegt hat. Neben dem Mobile-Markt wäre es schön, auch PC- und Konsolen-Spieler zu bedienen, aber das sprengt in der Regel den Budgetrahmen um ein Vielfaches.

Um in diesem hoch kompetitiven Umfeld zu bestehen, braucht es nicht nur kreative Köpfe, die das Computerspiel entwickeln, sondern auch solche, die es unter die Leute bringen. Diese unterschiedlichen Rollen bedingen ein Vertrauen in die Fähigkeiten der Team-Mitglieder. Während ich Offerten verfasste und an potenzielle Kunden herantrat, machte sich Jeremy Gedanken zur spielerischen Umsetzung eines Themas. So hat er in den Jahren einiges mehr an Business-Know-how gewonnen, während ich mich der Design-Seite nähere.

Ein massgebender Partner auf dem nicht einfachen Weg, ein Schweizer Game-Studio aufzubauen, ist Pro Helvetia. Dabei geht es nicht primär um die Unterstützungsbeiträge für die einzelnen Titel, sondern die Vernetzung mit Expertinnen und Fachleuten sei es an internationalen Konferenzen und Messen oder auch durch Know-how-Vermittlung vor Ort. An dieser Stelle gebührt auch der Stadt Zürich ein grosser Dank, die zusammen mit Pro Helvetia das Zürcher Game-Festival Ludicious und damit eine wichtige Plattform für das hiesige Game-Schaffen ermöglicht hat. Dass das allseits beliebte und für das Networking wertvolle Event Corona-bedingt seine Tore schliessen musste, ist mehr als schade.

Durch die Teilnahme an den diversen Game-Events haben wir auch Jason Della Rocca, den ehemaligen Präsidenten der International Game Developers Association IGDA und heutigen Game-Consultant, kennengelernt. Mit ihm verbindet uns bis heute eine enge Zusammenarbeit. Obschon sein Herz für Indie-Games schlägt, ist er offen für neue Geschäftsmodelle wie Abonnemente, In-Game-Käufe oder Free-2-Play-Modelle für Mobile-Games. Bei letzterem, das von Kritikern auch Pay-2-Win genannt wird, ist das Grundspiel gratis. Durch Mikrotransaktionen können sich die Spielerinnen und Spieler Vorteile kaufen. So können Figuren oder deren Ausrüstung verstärkt werden und anderes mehr. In der lokalen Entwicklerszene ist dieses Modell als kommerzielle Abzockerei verpönt. Das muss nicht so sein. Doch das Know-how über dieses Geschäftsmodell ist in der Schweiz noch gering– nicht zuletzt, weil es an unseren Hochschulen und anderen Bildungsinstitutionen kaum vermittelt wird.

Diese vermeintlich ehrenvolle Haltung bringt uns nicht weiter als Game-Entwicklungsstandort. Wir müssen vom hohen Ross heruntersteigen und uns dem Markt stellen. Die Schweiz hat exzellente Entwickler, Designer und Künstler, aber kaum Produzenten und Marketing-Wissen. Diese Schwachstellen gilt es auszubügeln, wenn wir eine eigenständige Industrie aufbauen wollen, die selbsttragend sein kann. Wer ständig mit dem Rücken zur Wand steht, weil ihm oder ihr die finanziellen Mittel fehlen, ist nicht frei in der Entscheidung und das färbt auf das Werk ab. Nun greife ich schon vor, denn dazu folgt mehr im nächsten Text. Dort will ich folgendes behandeln:

  1. Was hat die Förderung in der Schweiz erreicht?
  2. Wie sieht ein mögliches Fördermodell für die Schweizer Game-Entwickler aus?
  3. Wie können Filme- und Game-Macherinnen und -Macher zusammenarbeiten?

Bis es soweit ist, bin ich natürlich extrem auf euer Feedback gespannt.

(Hey und was mir auch noch wichtig ist: Danke an Euch alle da draussen welche an uns geglaubt haben, uns unterstützt und natürlich unsere Spiele gespielt haben die letzten Jahre. Danke ans beste Team der Welt und unsere verrückten und unbezahlbaren Investoren.)

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