Warum es eine Schweizer Game-Förderung braucht

Blindflug Studios
12 min readJul 7, 2021

Viele der geförderten Kultursparten sind auf den Binnenmarkt ausgerichtet, Games aber sind global. Wir brauchen Geld, um mitwirken zu können. Keine Schwizerchrüzli-Produktionen.

  1. Was hat die Förderung in der Schweiz erreicht?
  2. Wie sieht ein mögliches Fördermodell für die Schweizer Game-Entwickler aus?
  3. Wie können Filme- und Game-Macherinnen und -Macher zusammenarbeiten?

Was haben Seoul, Sao Paolo, Wallisellen und Kampala gemeinsam? Überall wird «First Strike» von Blindflug Studios gespielt, das in 19 Sprachen übersetzt wurde. Videogames sind das erste rein digitale Medium und eine digitale Kunstform, die sich weltweit durchgesetzt hat.

Anders als traditionelle Kunstformen wie Theater, Tanz, Musik und Film orientieren sich die Designerinnen und Macher von Computergames nicht in erster Linie am Heimmarkt, sondern denken von Beginn weg global. «First Strike» ist in 19 Sprachen erschienen. Wir haben die Promotion mit Vorträgen in aller Welt unterstützt. Der Aufwand solcher Lokalisierungen ist gross. Wer diesen scheut, kann auch eine Kunstsprache wie Simlisch, das in der US-Bestseller-Serie «The Sims» gesprochen wird, kreieren. Dabei muss dann noch mehr in die Bildsprache investiert werden, damit diese unmissverständlich ausgestaltet ist.

Als Begründung für eine internationale Vertriebsstrategie wird oft ins Feld geführt, dass der Heimmarkt zu klein sei. Dies stimmt so allerdings nicht ganz. Gemäss der jüngsten Studie «Swiss Entertainment & Media Outlook 2020–2024» von PWC soll der Schweizer Game- und E-Sports-Markt 2021 auf CHF 852 Mio. anwachsen. Das klingt stattlich und durchaus auch lukrativ. Allerdings — im Kontrast zu anderen Medienformen — hängt der Zugriff auf diesen Markt bei Games nicht von lokalen Playern ab, sondern von ausländischen Verlagen und Firmen wie Apple und Google.

Wer als Filmemacherin einen Film in der Schweiz realisieren und vertreiben will, wendet sich an lokale Förderinstitutionen, Produzenten und Vertriebe. Diese sind dann auch darum besorgt, dass das Werk in die Kinos und auf sonstige Kanäle kommt. Nicht nur werden so Filme vorfinanziert, sondern auch gleich noch durch helvetische Player weiterverbreitet. Das Theater kann aus einem Pot mit Steuergeldern schöpfen, ähnlich sieht es beim Tanz oder bei der Oper aus.

Das Produktionsrisiko tragen die Gamestudios

Bei Games liegt das Risiko der Produktion bei den Gamestudios. Sie erhalten zu Beginn allenfalls eine kleine Starthilfe von Seiten der Kulturstiftung Pro Helvetia, aber mehr als der sprichwörtliche Tropfen auf den heissen Stein ist das nicht. Das soll nicht als Vorwurf verstanden werden, sondern lediglich den Status quo der aktuellen Schweizer Förderlandschaft beschreiben, wenn es um Computerspiele geht. Pro Helvetia leistet mit der internationalen Vernetzung und der Unterstützung von Events, Konferenzen und anderen Anlässen einen sehr wertvollen Beitrag, aber auf einer finanziellen Ebene sind die Mittel im Vergleich zu anderen Kulturformen beschränkt.

Schweizer Game-Studios sind deshalb auf ausländische Produzenten angewiesen, denn diese fehlen in der Schweiz ebenso wie Verlage, die die Titel in die Welt tragen. Verschärft wird die Situation beim Mobile-Marktsegment durch die Gatekeeper-Funktion von Apple und Google, die als Monopolisten darüber entscheiden, was auf ihren mobilen Geräten (iOS/Android) für Games gespielt werden können. Bei rund 4000 Games, die monatlich allein bei Apples App-Store eingereicht werden, reicht ein gutes Computerspiel alleine nicht. Nur wer über Erfahrung und optimalerweise über frühere Erfolge verfügt, hat eine Chance, die notwendige Beachtung zu erhalten. Bleibt diese aus, so überleben nur Studios, die in diesem «hit-driven business» einen möglichen Flop einkalkuliert haben und über die nötigen Reserven verfügen, was aber bei den wenigsten in der aktuellen Situation der Fall sein dürfte (siehe unten «Valley of Death).

Wenn von Erfolgen der Schweizer Game-Designer-Szene die Rede ist, so sind dies Ausnahmen. Allen voran sind da Giants Software aus Schlieren bei Zürich, die mit ihrem «Landwirtschaftssimulator» nicht nur eine Nische besetzen, sondern ihr Game zu einem kommerziellen Kraftakt ausgebaut haben, dem viele auf dem Markt nacheifern. Giants, die in der DACH-Region von Astragon und weltweit von Focus Home Interactive vertrieben werden, spielen international ganz vorne mit. Sie haben nicht nur ihre eigene Fan-Konferenz FarmCon, sondern auch eine E-Sport-Liga ins Leben gerufen und pflegen ihre Marke sorgfältig und professionell.

Das Beispiel von Giants Software zeigt auf, dass es sich auch in der Schweiz wirtschaftlich durchaus lohnen kann, den riskanten Weg der Game-Entwicklung zu gehen. Das Ziel der Branche und der Förderung sollte folglich sein, die Chancen auf solche Erfolgsgeschichten zu erhöhen.

International an der Spitze mitspielen

Betrachtet man den aussergewöhnlichen kommerziellen Erfolg von Giants Software in der Schweiz, so spielen sie als einzige in der AAA-Liga der Gamewelt. Doch verschiedene kleinere, kreative Studios haben es geschafft, sich weltweit einen Namen zu machen und erreichen nicht nur künstlerischer Akzeptanz sondern auch Verkaufszahlen, die Mitarbeitenden ein Auskommen ermöglichen. Zu ihnen zählen:

Sunnyside Games, Lausanne, erlangten mit ihrem Kult-Hit «The Firm» und ihrem exzellent animierten Titel «Towaga» die Aufmerksamkeit von Apple. «Towaga: Among Shadows» wurde in die Auswahl der 100 Launch-Titel der kuratierten Plattform Arcade aufgenommen. Das Studio umfasst acht Mitarbeitende.

Stray Fawn, Zürich, steht hinter dem mehrfach preisgekrönten, auf genetischen Gesetzen basierenden Survival-Game «Niche» und dem Weltraumdronen-Bausatzspiel «Nimbatus». Das Studio umfasst rund 10 Mitarbeitende.

Blindflug Studios, Zürich, haben sich mit Titeln wie «First Strike», «Airheart» und «Cloud Chasers» international einen Ruf geschaffen. Wie Sunnysides «Towaga: Among Shadows» wurde «Stellar Commanders» in die Launch-Auswahl von Apple Arcade aufgenommen. Das Studio umfasst rund 14 Mitarbeitende in Zürich und Poznan.

Urban Games, Schaffhausen, haben sich — ähnlich wie Giants Software mit dem «Landwirtschaft-Simulator» — mit «Train Fever» und den nachfolgenden Titeln eine Nische erobert.

Okomotive, Zürich, haben mit «Far — Lone Sails» auf eindrückliche Weise die Verbindung zwischen einem künstlerisch wertvollen und kommerziell erfolgreichen Computerspiel geschaffen. Das Studio umfasst neun Mitarbeitende.

Die oben genannten Studios — die Auswahl ist nicht abschliessend — sind erste Erfolge der Förderung und internationalen Vernetzung dank der Unterstützung von Pro Helvetia sowie einer Professionalität und einem Willen, sich auf dem hart umkämpften Markt mit originellen Spielideen und deren Realisation durchzusetzen. Diese Pflänzchen gilt es zu unterstützen und weiter zu pflegen, will man eine selbsttragende Game-Industrie aufbauen.

Zurzeit werden aber noch zu viele «Mikro-Studios» unterstützt, die von Einzelkämpferinnen und -kämpfern ins Leben gerufen werden. Diese Talente verkennen den Nutzen eines Teams, in dem die einzelnen Mitglieder ihre Stärken einsetzen können, statt sich mit anderen Aufgaben zu beschäftigen und wertvolle Zeit zu verlieren, bis ihr Game-Projekt marktreif ist. Paradoxerweise nährt das aktuelle Fördermodell diese «one man/woman shows». Die bescheidenen Unterstützungsbeiträge helfen ihnen, ein paar Monate weiter zu werkeln, während sie für professionelle Studios kaum einen massgebenden Teil des Produktionsbudgets abzudecken vermögen.

Die oben erwähnten Studios haben «Visitenkarten-Games» hervorgebracht, die international Anklang gefunden haben und zeigen, wo ihre Stärken liegen. Wichtig ist, dass diese Studios eine kritische Grösse erreichen, um auch Rückschläge wegstecken zu können, die im «hit driven business» der Games kaum zu vermeiden sind. Dieses «valley of death» zu überwinden, hat ein prioritäres Ziel des künftigen Fördermodells zu sein. Es zu meistern, wird schon für die grösseren Studios eine Herausforderung sein, während es für die «Solo für Onkel»-Studios das Todesurteil bedeutet.

Doch selbst in Studios zu investieren, die über Visitenkarten-Titel verfügen, ist höchst riskant. Das haben wir am eigenen Leib erfahren. Ich habe aus der eigenen Tasche nach dem Erfolg von «First Strike» CHF 100'000 in Blindflug Studios investiert und konnte mit diesem Eigenengagement Investoren überzeugen, weitere CHF 500'000 Hochrisiko-Kapital einzulegen. Der Erfolg? «Airheart» trieb uns fast in den Bankrott. Erst als Apple im letzten Moment Interesse zeigte, konnten wir unser Valley of Death überwinden.

Kritische Grösse sichert Überleben

Lokale Hits wie der «Landwirtschaftssimulator», der seit seinem Bestehen über 25 Millionen Kopien verkauft hat, zeigen eindrücklich, dass auch Bestseller in der Schweiz entstehen und die Welt erobern können. Kleine unabhängige Produktionen internationaler Studios wie «Among Us» des vierköpfigen Studios Inner Sloth hat einen Umsatz von $ 50 Millionen generiert (https://www.businessofapps.com/data/among-us-statistics/) und wurde von jeweils 500 Millionen Menschen pro Monat gespielt, verdeutlichen die Chancen von Schweizer Game-Designerinnen und -Designern.

Um die Zukunft der Schweizer Game-Industrie zu sichern und selbsttragende Strukturen aufzubauen, braucht es ein Fördermodell, das sich aus öffentlichen und privaten Geldern zusammensetzt und das Investitionsrisiko verteilt. Das nachfolgend ausgeführte Modell fokussiert exemplarisch auf die Fördermöglichkeiten im Kanton Zürich, kann aber auf andere Kantone entsprechend angepasst werden.

Aktuell werden im Rahmen der Call for Projects der Kulturstiftung Pro Helvetia jährlich rund 200 Game-Projekte eingereicht. Rund die Hälfte davon erfüllt die erforderlichen Kriterien nicht. 15–20 Prozent haben Potenzial, sich international zu behaupten, während die übrigen Projekte in der Schwebe sind.

Unsere Vision sieht folgendes Modell — hier am Beispiel des Kantons Zürich erklärt — vor: Aus den bereits durch die Pro Helvetia unterstützten Projekte werden die acht vielversprechendsten ausgewählt. Die Studios müssen eine Mindestgrösse von drei Personen aufweisen. Auf deren «intellectual properties» (IP) wird das jährliche Gesamtbudget von CHF 4 Mio. verteilt, 8 x CHF 500’000/Jahr. Von diesem stellt der Kanton Zürich CHF 2 mio. bereit (Funding, Public). Die Rolle des Kantons ist es, zum einen den Produktionsstandort zu fördern und zum anderen durch sein Engagement, das Risiko für weitere InvestorInnen zu moderieren.

Zu den staatlichen CHF 500’000 kommen weitere CHF 500'000 aus dem privaten Sektor pro IP hinzu (Seed, PPP). So können über den Zeitraum von vier Jahren 32 Produktionen realisiert werden. Ausgehend von der Faustregel, dass rund jedes zehnte Projekt kommerziell erfolgreich ist, kommen so 3–4 IPs mit vielversprechenden internationalen Potenzial zustande.

Gleich lange Spiesse

Die Schweizer Game-Designerin Philomena Schwab hat auch schon darauf hingewiesen, dass wir Gefahr laufen, den Anschluss an die internationalen Game-Entwickler zu verlieren. In den letzten Jahren haben verschiedene (europäische) Staaten das Potenzial des interaktiven Unterhaltungssektors erkannt und Förderprogramme auf die Beine gestellt.

Das wohl eindrücklichste Beispiel ist Polen. Binnen weniger Jahre wurde aus dem ehemals kommunistischen Land der zweitgrösste Game-Entwicklungsstandort Europas mit über 440 Studios. Neben Ablegern von internationalen AAA-Studios, die die hochqualifizierten, aber im weltweiten Vergleich günstigen Arbeitskräfte nützen, hat sich eine starke, unabhängige und innovative Game-Industrie entwickelt, die selbst in der Lage ist, absolute Spitzenproduktionen zu schaffen. Prominentestes Beispiel ist das Studio CD Projekt Red, das mit der Adaption der polnischen Fantasy-Romanserie «The Witcher» Polen in die stärkste Liga katapultierte, und mit 4,72 Millionen verkauften Einheiten am ersten Tag wurde ihr jüngster Titel «Cyberpunk 2077» zur grössten Game-Veröffentlichung aller Zeiten auf PC. In den ersten zehn Tagen schraubte sich die Zahl auf 13,7 Millionen Stück hoch, obschon das Game mit allerlei technischen Problemen auf den Konsolen zu kämpfen hatte.

Blindflug ist stolz darauf, Teil des polnischen Game-Wunders zu sein. Seit 2018 arbeiten wir zusammen mit einem Team in Poznan und sehen uns als schweizerisch-polnisches Studio. In den letzten Jahren ist Polens Game-Industrie jedes Jahr um rund 30 Prozent gewachsen und setzte 2019 knapp 480 Mio. Euro um. 96 Prozent davon macht der Export der Spiele aus! Jährlich werden über 200 Games für PC und Konsolen realisiert. Polens Game-Industrie umfasste 2020 9710 Vollzeitstellen.

Polen zeigt auch, dass sich Unterstützung nicht nur auf eine monetäre und fiskale Ebene zu beschränken hat. Gemäss Kuba Wójcik, Executive Chairman Indie Games Poland, wird «This War of Mine» auf die Leseliste der Schulen gesetzt. Das über 100 Mal ausgezeichnete Anti-Kriegsspiel ist zwar nicht «Pflichtlektüre», soll aber als Bildungsinstrument in der Soziologie, Ethik und Philosophie zum Zug kommen.

Die wichtige wirtschaftliche Rolle der Game-Industrie hat auch Deutschland erkannt. Ausgerechnet das Land mit den strengsten Jugendschutzbestimmungen investiert Millionen von Euros in die Förderung. Selbst das Bundesland Bayern, wo die «Killerspiel»-Debatte am härtesten geführt wurde, förderte die lokalen Game-Designerinnen mit über zwei Millionen Euro im Jahr 2020 (Hendrik wir sind so neidisch auf euch!). Für das aktuelle Jahr werden gemäss Förderreferentin Michaela Haberlander, FilmFernsehFonds Bayern, rund drei Millionen Euro zur Verfügung stehen. Und Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach lässt sich wie folgt zitieren: «Die Gamebranche ist eine vitale Zukunftsindustrie. Damit vor allem auch kleine, unabhängige Studios durch die Corona-Krise kommen, helfen wir dabei, Finanzierungen zu finden. Über die Gamesförderung des FFF Bayern können wir wieder mehrere hochinnovative Projekte unterstützen. Als FFF-Aufsichtsratsvorsitzende setze ich mich hier entschieden für unsere Gamingindustrie ein.»

Das Medienboard Berlin-Brandenburg hat das Förderjahr 2021 bereits mit rund einer Million Euro für 13 Projekte eingeläutet, wovon gut drei Viertel der Summe auf acht Games entfallen. (https://www.medienboard.de/presse/aktuelles/aktuelles/News/new-media-foerderung-vergibt-ueber-1-mio-euro-an-13-games-vr-experiences-und-serielle-formate, Stand: 27. Februar 2021)

Spitzenreiter in Deutschland ist das Bundesland Nordrhein-Westfalen. Es förderte 2020 mit über drei Millionen Euro 38 Projekte und unterstützte die Gamebranche mit Vernetzungsangeboten seitens des Medien Netzwerk NRW. (Regionale Gamesförderung Deutschland 2020 © indieplanet.de, basierend auf Angaben der regionalen Förderanstalten (Stand: 27. Februar 2021))

Seit 2007 unterstützt Frankreich die lokale Game-Industrie mit Steuervergünstigungen. (https://mediawrites.law/french-government-increases-tax-credits-for-video-game-industry/, Stand: 1. März 2021) Verantwortlich für die Vergabe ist das Centre National du Cinéma et de l’Image Animée (CNC). Es unterstützt auch Game-Projekte mit einem Maximalbetrag von Euro 200’000 bzw. 50 Prozent des Produktionsbudgets (https://www.cnc.fr/web/en/funds/support-fund-for-videogames_191823) Stand: 1. März 2021). 2015 wurden Euro 3.8 Mio. auf 47 Projekte verteilt (https://www.cnc.fr/web/en/publications/support-for-the-creation-of-video-games_233978, Stand: 1. März 2021)

In Grossbritannien ist nach dem Brexit der Antrag für einen Video Games Investment Fund hängig. Der VGIF sieht Unterstützungsbeiträge zwischen £ 75’000 und £ 500’000 für Spieleentwickelnde vor. Bis £ 100’000 wären es Subventionen, während höhere Beiträge als Soft Kredite auf einer Pfund-für-Pfund-Basis vorgesehen sind. Über den Zeitraum von fünf Jahren wäre ein Investment von £ 26.5 Mio. vorgesehen. Die Handelsorganisation der britischen Game-Branche erwartet, dass der VGIF über 1200 neue Stellen schaffen und bis 2025 £ 174 Mio. zum Bruttosozialprodukt beitragen wird. (https://tiga.org/policy-and-public-affairs/video-games-investment-fund, Stand: 1. März 2021)

Von 2014–2020 unterstützte das Creative-Europe-Media Subprogramme Game-Entwicklerinnen und -Designer. Allein im vergangenen Jahr wurde ein Budget von Euro 3.78 Mio. vergeben.

Film und Games rücken zusammen

Ziel muss es sein, mit einer gezielten Förderung mittelgrosse Game-Studios in der Schweiz aufzubauen, die selbsttragend werden und nicht längerfristig auf eine staatliche Unterstützung angewiesen sind. Nur eine nachhaltige Game-Industrie ist sinnvoll. Es ist an der Zeit, das aufstrebende Game-Pflänzchen richtig zu düngen, damit grössere und ambitioniertere Projekte realisiert werden können, die einen entsprechenden kommerziellen und wirtschaftlichen Impact entfalten können.

Die Corona-Pandemie, welche die Film- und TV-Produktionen weltweit zum Erliegen brachte, verdeutlicht die wichtige Rolle von Games, deren Realisation zwar auch unter den Restriktionen litten, aber nicht zum Stillstand kam. Im vergangenen Jahr wurde die Digitalisierung massiv vorwärts getrieben, und dieser Trend wird sich weiter fortsetzen. In Deutschland legte die Nutzung von Games durch Jugendliche während des ersten Lockdowns um 75 Prozent zu. In der Schweiz fielen die Nutzungszahlen weit moderater aus. Doch auch hierzulande spielen — unabhängig von pandemischen Ausnahmezuständen — seit 10 Jahren über 70 Prozent der Jugendlichen regelmässig Computerspiele, oder anders gesagt: 56 Prozent der befragten jungen Damen sagten, dass sie gerne gamen. Bei den jungen Herren sind es 93 Prozent (James-Studie, 2020). Videospiele sind kein Nischenprodukt, sie sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Es geht hier nicht darum, die verschiedenen Medien gegeneinander auszuspielen, sondern vielmehr auf die Gemeinsamkeiten hinzuweisen. Film- und Game-Industrie wachsen — insbesondere im Unterhaltungssektor — mehr und mehr zusammen. Wie sehr sie einander näher gerückt sind, zeigen der interaktive Schweizer Thriller «Late Shift» und die Netflix-Serie «Black Mirror: Bandersnatch» eindrücklich . In diesem kann das Publikum — wie in einem Game — Entscheidungen treffen und den Verlauf der Geschichte beeinflussen. Vermehrt kommen Software-Programme aus der Computerspiel-Produktion wie Unity und Unreal bei Spielfilm- und TV-Produktionen zum Einsatz. Games dienen als Vorlagen zu Verfilmungen und internationale Bestseller wie «Ready, Player One» zehren von der Gamekultur. Auf Apple TV+ startete vor ein paar Wochen die zweite Staffel von «Mythic Quest», einer Comedy-Serie, die Chaos, Liebe und Drama in einem Game-Studio zeigt. Hinter der Produktion steckt Ubisoft, einer der weltweit grössten Publisher von Titeln wie «Assassin’s Creed» und «Rainbow Six: Siege»

Gerne würde ich diesen Text als einen Aufruf für die Ausarbeitung eines Konzepts einer gemeinsamen Förderfinanzierung von Film- und Game-Schaffen sehen. Aktuell habe ich aber den Eindruck, dass die Filmschaffenden Angst davor haben, dass Game-Designerinnen und -Designer ihnen etwas von ihren Unterstützungsgeldern wegnehmen. Das ist nicht unsere Absicht. Unser Ziel ist es vielmehr, dass der Fördertopf grösser wird, weil — wie ich oben erklärt habe — sich ein Investment in unseren Bereich der Kreativwirtschaft lohnt.

Die Schweiz muss endlich aufwachen und die Produktion von Computerspielen in unserem Land unterstützen, sonst haben wir keine Chance, im internationalen Wettbewerb mitzuhalten, denn in anderen Ländern wurde das wirtschaftliche Potenzial von Games längst erkannt und mit entsprechenden staatlichen Programmen gefördert.

Was wir nun brauchen, ist eine gemeinsame Vorstellung, wie die Unterstützung für eine kreative und innovative Zukunft des Schweizer Film- und Game-Schaffens aussehen soll. Wer ist dabei, Ende Sommer auf Basis dieses Textes ein Konzept zu entwickeln? Und einfach um es noch einmal zu sagen: Filmemacherinnen und Game-Designer verbindet mehr, als sie trennt. Macht mit!

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